Höhenrouten in Graubünden
 

 

 

Höhenrouten der Ostschweiz

 

Ums „Chrüz“
Von St Antönier Kreuz sprachen frühere Karten. Und so steht’s auch auf der Grabtafel unmittelbar am Kirchentor: „Gestorben in der Lawine am Kreuz am 9. Februar 1947“. Im Zuge einer bisweilen  zweifelhaften Umsetzung in die Mundart hat es die Fachkommission der Eidgenössischen Landestopographie umgetauft. So oder so: Im Winter und im Sommer, vor allem jedoch an klaren Herbsttagen, ist die Höhenroute ums Chrüz aussergewöhnlich verlockend. Daran ist schon der Einblick in die markantesten Felsgestalten des Rhätikons schuld, vor allem in die Südwände von Sulz- und Drusenfluh. Bis zur Berninagruppe reicht die Sicht; ja wenn es das Wetter zulässt, erscheint weit hinten den Firn des Bündner Oberlandes das Walliser Weisshorn, das Kenner als eines der majestätischen Berge unserer Heimat bezeichnen. Es ragt in etwa i180 km Luftdistanz über das Mattertal empor. Wie eine Vision kommt es uns vor.


Rundfahrt – Wanderung

Schon dadurch nimmt das Chrüz in Grunde eine Sonderstellung ein, das es für wenig marschtüchtige Heimatfreunde gleich drei verschiedene Anfahrten erlaubt: mit dem Postauto von Küblis oder – viel ansprechender noch  -  von Schiers über Putz nach St. Antönien, dann aber auch direkt mit einem  Elfplätzer von Schiers nach Stels, aus dem die Landeskarte im Gegensatz zum amtlichen Kursbuch ein Stäls gemacht hat. So oft ein aufgeschlossener Wandersmann eine dieser Zufahrten wählt, hat er völlig verschiedene Aufstiegsmöglichkeiten, sei’s dem bequemen und völlig ungefährlichen Alpweg nach, sei’s auf einem der Mattenpfädlein, die sich durch den Cavidurawald oder über das weite Hügelgelände der Alp Valpun in die Höhe schlängeln. Wer den letzten 500 Meter Anstieg aufs Chrüz am Ende scheut, mag sich  unmittelbar von den Untersässhütten westwärts wenden; damit kommt er in den Genuss einer sehr lohnenden Höhenroute. Sie geht im „Hof“ zu Ende, es wäre denn,  der Wanderer verraue sich letztlich sogar dem Kurvensträsschen an, das über den Weiler Fajauna in den Talboden von Schiers - „Schiersch“ nennen die Einheimischen diesen Flecken – führt.



 

Kostbarkeiten am Stelsersee
Wenn Sie vom Chrüzgipfel dem Pfad über die nordwestliche Kuppe  -  „Grat“ wäre zuviel gesagt – folgen, fällt  Ihr Blick unweigerlich auf den mitten in den Blütenwiesen eingekuschelten Stelsersee hinab. Es ist Jahre her, seitdem „die Gemeindeversammlung von Schiers dem Antrag des Gemeinderates zustimmte, er möchte beim Kleinen Rat (Regierungsrat des Kantons Graubünden) beantragen, den Stelserberg unter allgemeinen Pflanzenschutz zu stellen. Es ist zu hoffen, dass namentlich der Stelsersee zum Reservat erklärte werden kann. Ein Pflanzenpflückverbot drängte sich auf, weil der Berg immer mehr von Feriengästen aufgesucht und nachgewiesenermassen oft Raubbau an seltenen Pflanzen getrieben wird. Es verdient Erwähnung, dass dieses Muldenseelein der höchste schweizerische Standort der wunderzarten Weissen Seerose (Nympfaea alba) ist und das in nächster Nähe das seltsam düsterrote Blutauge, die selten gewordene Blumenbinse und der insektenfressende Rundblätterige Sonnentau blühen – was um so überraschender wirkt, als droben am Hang die Alpenrosen in der Sommersonne leuchten. Unwillkürlich kommt uns eine Feststellung von „Heimwehbündner“ Dr. Josias Braun-Blanquet in den Sinn, der Professor für Botanik an der Universität Montpellier in Südfrankreich geworden ist. „Die Prättigauer Moore sind am reichsten mit seltenen Moorpflanzen bedacht“. Wie viele von ihnen sind im Laufe der Kriegsjahre der einerseits rücksichtlosen, andererseits verständlichen Meliorationen zum Opfer gefallen! Als kostbarer Rest ist uns der Stelsersee besonders lieb und wertvoll.



 

Einblick ins Erdgeschehen
Was wir vom Gelände um Seewis sagten, gilt auch für dasjenige ums Chrüz: Bis in unsere Tage ragen aus den Mähwiesen und Weiden Findlinge, die vor vielleicht 20 00 Jahren durch den Silvrettagletscher hergetragen und im langsam Abschmelzen des Eises niedergelegt wurden. Viele wurden allerdings gesprengt und dienten als Blockmaterial für das Fundament der Bergheime und der zahlreichen weitverstreuten Maiensässe wie auch zum Mauerbau für die neu angelegten Strässchen. Das weichwellige Gelände deutet dem Kenner unmissverständlich die eiszeitlichen Moränenschwellen an und macht ihm klar. Dass die Talsohle des Prättigaus einst tief unter den Eismassen verborgen lag. Wenn wir dann aber unsere Blicke der massigen Gestalt der Sulzfluh oder der zerhackten Mauer der Drusenfluh zuwenden, müssen wir um Jahrmillionen zurückblenden: Der Kalk jener Dolomitwände war einmal Meeresboden. Die zahlreichen Versteinerungen bis in die Gipfelflur hinauf beweisen es. Unvorstellbare Kräfte haben die Gebirge von Süden her aufgeschoben, die Schollen übereinander geworfen, das Unterste zuoberst gekehrt. Der Fachmann spricht von „Überfaltungsdecken“ und „Schichtkomplexen“ – uns Laien bleibt nur das Staunen über das weitgehend geklärte Urweltgeschehen.

 

 

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