Spinnereien Mitte Januar von Alex


 

Spinnereien Mitte Januar


 

 

 
     
 

Mal ganz ehrlich ? welcher normaldenkende Mensch würde auf die hirnrissige Idee kommen Mitte Januar mit dem Motorrad 800km zu reißen? Keiner, mmmh?
Relativieren wir die Sache einmal, bevor ich mich gleich zu Anfang der Story als Idioten hinstelle. Mein Auto hat einen Motorschaden, natürlich mitten im Winter, die Bahnkarte würde hin und zurück 120€ kosten, das Benzin nur knapp die Hälfte, das Wetter zwar kalt aber schön und warum nicht ? man hat ja schließlich das Zwiebelprinzip anzuwenden gelernt.

Gesagt, getan. Am Sonntag den 16. Januar machte ich mich also auf, um von  Stuttgart nach Bern zu fahren. Einfache Strecke über die A8-A5-A3- A1 ca. 339.69 km laut Map24.
Morgens wache ich um acht Uhr auf, der Blick wandert ans Thermometer. Fünf Grad unter Null, doch ich wollte sowieso erst zwischen zehn bis elf meine Reise starten.
Wenigstens scheint die Sonne und ein klitzekleinwenig Wärme kommt trotz Winter auf dem Erdboden an ? Hoffnung also nicht wirklich arg frieren zu müssen.
Warm eingepackt in zwei langen Unterhosen, einem kurzen und einem langen Unterhemd, der frisch eingefetteten Lederhose in die man, dank des neuen Umfanges noch gerade so passt, dem wärmsten Pullover und der gefütterten Textiljacke. Dazu noch unter die Handschuhe die dünnen Seidenhandschuhe und eigentlich darüber noch die Plastikfingerlinge, die den eisigen Wind abhalten hätten sollen. Eigentlich ? weil ohne fremde Hilfe nicht ohne weiteres über die Handschuhe zu bekommen.

Den Packsack schön festgezurrt, zwänge ich mich in die kleine Mulde zwischen Tank und Gepäck und rangiere das Moped aus der Garage. Mir ist heiß und ich zwinge mich kleine Bewegungen zu machen, um keine Schweißbäche zu provozieren.
Wir haben 10:55Uhr und ich bin reisefertig. Kaum rolle ich los fällt mir auch schon ein, was ich vergessen habe ? die Ohrstöpsel. Wie jedes mal? Also, die zwei Paare Handschuhe wieder runter, den Helm abnehmen, das dicke Wollhalstuch ordnen und in den Innentaschen der Jacke nach den Ohrstöpseln suchen. Auffindbar ist nur einer der zwei. Schön. Ich entschließe mich ohne Ohrstöpsel dem Heulen des Windes für vier Stunden zu lauschen und beiße mental die Zähne zusammen. Es wird schließlich 
schlimmeres geben als Windgeheul ? wie recht ich doch haben sollte.

Das Halstuch in Wildwestmanier über das halbe Gesicht gezogen, den Helm wieder auf, die Seidenhandschuhe in die Jackenärmel stopfen, die Jacke schließen und die groben Winterhandschuhe drüber. Winterhandschuhe? Naja, eigentlich sind es eher Herbst- und Frühjahrshandschuhe, denn ich kann es nicht wirklich leiden die Lenkergriffe unter Lagen von Leder, Wolle und Füllung zu erahnen. Nun gut, schlussendlich rolle ich bei einer Temperatur knapp über dem  Gefrierpunkt von Stuttgart los. Die Fahrt zum Autobahnzubringer funktioniert auch wunderbar, ich friere zu meinem Erstaunen überhaupt nicht und es ist behaglich. Nur die Reifen wollen nicht wirklichen Gripp aufbauen, aber ich habe auch nicht vor mit den Knien Gänseblümchen, erm, Eisblumen zu pflücken.

Auf der Autobahn um Leonberg herum fällt mir eines aber doch auf:
Ausgeatmete Luft im Winter hat einen ziemlich hohen Anteil von Kondenswasser. Das Halstuch wird um die Nase herum erst feucht, dann nass. Super.
Und: Habt ihr euch schon mal gefragt, warum einem in der Kälte immer die Nase laufen muss? Nein? Mir wurde es deutlich bewusst. Nasehochziehen? Hilft ? aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Nase putzen? Mitten auf der Autobahn etwas schlecht, zumal man dann wieder die zwei Paar Handschuhe ausziehen müsste, den Helm abnehmen, das angefeuchtete Halstuch abnehmen, usw? Nun gut, mit gemächlichen 120km/h und keinen Beschwerden außer einer laufenden Nase und leicht kalt werdenden Händen cruise ich über die A8. Ab Karlsruhe ist die Sonne unter einer Nebeldecke verschwunden. Die leicht kalten Hände drohen von Eisdolchen durchstochen zu werden. Die Tatsache, das eigentlich nur die Hände wirklich der Kälte ausgesetzt sind und sonst alles schön warm verpackt ist fällt einem nicht mehr auf. Die Kupplungshand verschwindet hinter der Verkleidung, mit rhythmischen auf und zu - Bewegungen versuche ich ein kleines bisschen Wärme zu erzeugen, leider ohne spürbaren Erfolg. Die Gashand muss weiter leiden, nur für kurze Momente kann ich genauso verfahren wie mit der linken.

Die Autofahrer, welche mich überholen, zollen mir Blicke, die ein Sammelsurium von Bewunderung, kopfschüttelnder Ignoranz und Verachtung ob einer solchen Tat widerspiegeln. Ich ignoriere für einen Moment die Kälte in meinen Händen und trete die Fluch nach vorne an. Vielleicht scheint hinter Baden-Baden wieder die Sonne.
Mit 180 ? 200km/h brettere ich der Hoffnung entgegen ? doch leider frieren die Nebeltropfen an mein Visier, ich muss das Tempo wieder senken. Vielleicht auch vernünftiger, denn Sonne ist auch in Baden - Baden nicht vorzufinden. Durch den Nebel, respektive die gefrorenen Tröpfchen an meiner Scheibe beginnt mein Visier anzulaufen. Resignierend öffne ich es einen Spalt und die eisige Luft findet die Lücke zwischen Halstuch und meinen Augen. Würden meine Hände nicht mehr Schmerzen, hätte ich jetzt ein Problem.Ich denke erstmalig ans Umkehren, denke aber auch daran, welch Empfang mich in Bern erwartet und wie enttäuscht da jemand sein würde, wenn ich doch nicht kommen würde. Die Vorstellung eines Lächelns lässt mich weiterfahren.

Freiburg liegt kurz vor mir. Meine Hände spüre ich inzwischen nicht mehr und irgendwie ging mir der Gedanke von toten schwarzen Fingergliedern durch den Kopf.
Ich beiße mir auf die Zähne und steuere die nächste Raststätte an. Welche Wohltat kaltes Wasser auf eisgewordene Hände sein kann, lässt in mir die Kindheitserinnerung aufsteigen, wie ich früher nach einem Tag Schlittenfahren von meiner Mutter ins Bad geschickt wurde, um Wasser über die roten Händchen zu gießen. Ich wärme mich einwenig in der Toilette der Autobahnraststätte auf, packe mich wieder ein, sitze auf und fahre weiter. An der Grenze werde ich erstaunlicherweise durchgewunken, die 
Stadtautobahn Basels ist mit 80km/h eine kurze gedankliche Pause in der Dauerkonzentration. Es ist wunderbar warm um Basel herum und ich bedauere, 
das meine Freundin von Basel nach Bern ziehen musste. Nun ja, Ce?st la vie.

Hinter Basel lasse ich günstiges schweizer Benzin in meinen Tank laufen und freue mich, das ich ca. nur noch eine Stunde bis Bern habe. Die Autobahnen in der Schweiz lassen sich durch das 120er Limit auch schön gemütlich fahren ? ich hätte nie gedacht, mich einmal über ein Tempolimit freuen zu können.Wie im Traum ziehen die restlichen 100km vorbei, in Gedanken bin ich schon längst in Bern und unter der warmen Dusche. Meine Hände spüre ich schon wieder längst nicht mehr, der Eishauch, der durch den Schlitz zwischen Helmschale und Visier bläst wird nicht mehr wahrgenommen, aber langsam dringt die Kälte des Aargaus durch die Hosen.

Kurz vor Bern lässt mich die Kälte schütteln, ich muss mich zwingen den Lenker und mich selbst zu bewegen, wie eingerostet erscheine ich mir. In Gedanken platzt bei jeder Bewegung der Eispanzer um einen auf und reisst kleine Fleischstücke aus der Haut. Kopfschüttelnd wundere ich mich über meine Gedanken, so kurz vor dem Ziel. 
An der ersten Ampel in Bern turne auf dem Moped herum und versetzte die Schweizer in ungläubiges Erstaunen. Höhen-, nein Kältekoller?

Bärengraben, Nydeggbrücke, Altstadt und Punkt 15:00Uhr ? ich bin da.

Erschöpft, durchgefroren, glücklich ? und den Gedanken im Hintergrund, in 
drei Tagen alles retour fahren zu müssen.
 

 
     

 


 


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